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Das "Denken" der Maschinen - Denken wie Maschinen (1984)

Führt die Evolution, wie manche Wissenschaftler meinen, zur Mensch-Maschinen- Symbiose, die uns befähigen wird Intelligenzleistungen durch Interaktion mit Computern in ungeahnte Bereiche zu steigern? Werden wir. auf diese Weise "optimiert", den Problemen der Zukunft nicht nur gewappnet begegnen, sondern gleichsam zu neuen Horizonten vorstoßen? Oder führt uns das Vordringen der neuen Maschinen in eine Sackgasse der Evolution, in der uns der Untergang der Menschheit im atomaren Holocaust, im weltumspannenden Autismus und der Unfähigkeit zu sozialen Leistungen erwartet?


Die Frage so zu stellen bedeutet jedoch bereits ihre Beantwortung vorweg zu nehmen. Um sich sinnvoll mit Fragestellungen so umfassender Art auseinandersetzen zu können wird es notwendig sein, zu einer differenzierteren Sicht vorzudringen. Sich in düsterer Diagnostik zu ergehen, führt – wie sich zeigt – zur nur scheinbar abstrusen Verbrüderung von ganz links bis weit ins rechte Lager hinein. Eine neue Internationale des Technik- Pessimismus ist angetreten, wieder einmal den nahenden Untergang zu verhindern. Am politischen Horizont sprießen grüne Pflänzchen allerorten.


Zu den Paradoxien der Entwicklung gehört es, dass die scheinbar unstillbare Sehnsucht so mancher Intellektueller nach der Schwarz-weiß-Zeichnung einfacher Wirklichkeitsmuster erst jenen erfolgreichen Unterwerfungsfeldzug der Technik in Gang gesetzt hat, an dem sie jetzt zu leiden glauben. Die Maschine - und der Computer ist nichts anderes als die allgemeine Formulierung einer Maschine - ist die Verdinglichung jener Aspekte unseres Denkens, welche Wirklichkeit mit den einfachen Instrumenten der zweiwertigen Logik zu erfassen, genauer gesagt, zu manipulieren suchen. Dieses Denken in Ja-nein und Entweder-oder-Mustern hat sich im Zivilisationsprozess als eminent erfolgreich erwiesen. Als Arbeitsmethode gut verwendbar, ist die Versuchung, es zum gültigen Erkenntnismodell schlechthin zu machen, scheinbar nicht zu umgehen. Unten - oben, Herrscher - Beherrschter, Gesundheit - Krankheit, progressiv - reaktionär, lebendig - tot; das ist das Vokabular des Toten, Regelhaften. Am Anfang des Siegeszuges der Naturwissenschaften stand die Erklärung des Experimentes zur dominierenden Methode. Dass Experimente jedoch nicht Wirklichkeit abbilden sondern die ihnen selbst zugrunde liegenden Modelle dieser vorschreiben, ist längst zum Gemeinplatz der Wissenschaftskritik geworden, ohne dass sie durch andere Methoden verdrängt worden wären. Die Kategorien der Regelhaftigkeit, der Wenn-dann-Abfolgen sind solche der toten Materie, sie haben ihren Geltungsbereich, aber nicht jenen umfassenden, den viele Naturwissenschaftler stillschweigend subsummieren.


Das mechanistische Weltbild, von dem ich hier spreche, ist zwar längst schon falsifiziert worden, man denke etwa an die Relativitätstheorie als Beispiel für den Makrobereich oder die Zufallsprozesse im Mikrobereich, die zwar das Durchschnittsereignis, nicht jedoch das Einzelereignis vorhersagbar machen. Stochastische Modelle erklären nicht nur erfolgreich Mikroprozesse sondern finden auch zusehends ihre Bestätigung etwa im Bereich der Gesellschaftswissenschaften. Die Studien auf dem Gebiet dissipativer Strukturen führen zu überraschenden Einsichten in nicht lineare, sich evolvierender Prozesse, welche überall im Bereich lebendiger, organisierter Materie zu finden sind. Es eröffnet sich das Reich komplexer, permanent sich entwickelnder und verfallender Strukturen als Neuformulierung des mechanistischen Gegensatzpaares Tod - Leben. Trotz all dieser Erkenntnisse hält sich beharrlich das lebensfeindliche, mechanistische Weltbild.


An dieser Stelle möchte ich den Begriff des „Maschinendenkens“ einführen. Darunter sei verstanden reduktionistisches, lineares, logisch-analytisches Denken. Es eliminiert alle nicht in das System passenden Elemente so lange, bis das Regelgebäude reibungslos funktioniert. Zum Beispiel die Ausschaltung aller sogenannten störenden Randbedingungen im Experiment - so lange, bis das erwartete Ergebnis erreicht wird, bzw. die Immunisierung von Hypothesen gegen Kritik durch Erklärung aller nicht zum gewünschten Ergebnis führenden Faktoren zu Störfaktor. Die Befriedigung, die gefunden wird im sogenannten Funktionieren, im Aufstellen widerspruchsfreier, geschlossener Systeme, lässt sich bis zum Anbeginn aller überlieferten Kultur zurück verfolgen. Sie findet nicht Legitimation im erfolgreichen Interpretationsversuch der Realität, müssen wir doch immer mehr erkennen, dass diese nicht erkannt, sondern nur nach dem eben Ebenbild der jeweiligen Theorie neu erschaffen wird. Die Untauglichkeit wird deutlich angesichts des offensichtlichen Unvermögens, selbst scheinbar einfachste Lebensprozesse genau nachzuzeichnen, geschweige denn aufzuklären, ja zu verstehen.


Die fast gewalttätige Deformation komplexer Wirklichkeiten im mechanistisch orientierten Weltmodell lässt sich durchaus auch als Unterwerfungsversuch interpretieren. Der Mensch mache sich die Natur zum Untertan! - was sicher nicht bedeutet dass er sie auch versteht. Lewis Mumford beschreibt den engen Zusammenhang zwischen dem Siegeszug städtischer Zivilisation und der Entwicklung der Maschinen. Diese sind keinesfalls eine Erfindung der Neuzeit sondern lassen sich schon als sogenannte „Menschenmaschinen“ etwa beim Bau der Pyramiden nachweisen. Die Zerlegung vielteiliger Abläufe in eine Anzahl von Einzelschritten, die nach einem festgelegten Plan wieder zu einem neuen Ganzen zusammengesetzt werden, die Koordination innerhalb eines objektiven zeitlichen Ablaufes, der jede subjektive Komponente eliminiert und so die Voraussetzung vorhersagbarer, total steuerbarer Abläufe schafft. Alles das stellt eine Megamaschine dar, deren Einzelteile zufälligerweise Menschen sind. Auf diese Weise bildet auch die Manufaktur bereits die Fabrik des 19. Jahrhunderts ab.


Die Maschine ist die Formulierung eines Algorithmus, also die Fixierung eines eindeutig vorgeschriebenen Ablaufes. In diesem Sinn können wir mit voller Berechtigung von Kampfmaschinen, Justizmaschinen etc. sprechen. Das Militär stellt den Prototyp einer komplizierten Maschine dar. Ihr Funktionieren hängt davon ab, dass alle jene Eigenschaften ausgeschaltet werden, die Lebendiges vom Toten trennen: Spontaneität, Individualität, Subjektivität stehen der Verwandlung im Weg. Wie perfekte Soldaten gemacht werden, ist in jedem Leitfaden für Ausbilder nachzulesen: Zertrümmerung der individuellen, bürgerlichen Existenz, um so aus der formlos gewordenen Materie ein neues Ganzes zusammensetzen zu können - die Tötungsmaschine. Wobei nicht der Zweck das Wesentliche ist sondern die Form. Die gleichen Mechanismen lassen sich auch in der industriellen Arbeitswelt nachweisen. Ob die Maschine Mensch Schrauben herstellt oder Tote, die Strukturen des Verhaltens sind ähnlich bis gleich.


Die Faszination, welche maschinenhafte Verhalten ausübt - ob das jetzt die seltsam künstlichen Bewegungen der Lipizzaner oder eine Militärparade mit ihren grotesk verzerrten Bewegungsabläufen sind - wird verständlich, wenn wir Maschinen als materialisierte Projektionen von Aspekten der Psychostruktur und nicht bloß als reine Analogien begreifen. In der Maschine wird alles Zufällige, Unvorhersagbare und Vage ausgeschaltet. Schicksal, Leid und Gefühle kommen nicht vor. So lässt sich die Anziehung erklären aus der Sehnsucht nach Bestimm- und Gewissheit, also einem Leben jenseits von Leid und Schmerz.


War der klassische Maschinenbegriff an der Zweckbestimmung orientiert, so erwies er sich als ungenügend zur Interpretation der neuen, unspezifischen Maschinen. Mit dem Rasierapparat werde ich nicht viel mehr machen können, als einen Bart zu stutzen. Mit dem Computer treten wir jedoch in das transklassische Maschinenzeitalter ein. Nach der bisher gebräuchlichen Definition verstehen wir unter einer Maschine eine Vorrichtung, mit der eine zur Verfügung stehende Energieformen in eine andere, für einen bestimmten Zweck geeignete Form umgewandelt wird - zum Beispiel Dampfmaschinen, Verbrennungskraftmaschinen, Generatoren - oder mit welcher die von einer Kraftmaschine gelieferte Energie in gewünschte Arbeit umgesetzt wird.


Angesichts der Entwicklung des Computers musste jedoch eine neue Formulierung gesucht werden. Heute verstehen wir unter einer Maschine jedes Gerät, jede Vorrichtung, aber auch jedes System, das einen bestimmten Input zu einem bestimmten Output verarbeitet. Unter diesem Gesichtspunkt ist jede Maschine identisch mit dem materiellen Modell einer bestimmten Transformation. Diese Definition ermöglicht einen wirkungsvollen Ansatz zu einer fundierten Technikkritik, die so zu einer Kritik an Aspekten unseres Denkens werden muss. Nicht mehr tritt uns die unheimliche Macht der Technik als rätselhafter Golem gegenüber, fremd und unverständlich, sondern als Imagination menschlichen Denkens und Fühlens. Technikkritik wird so zur Kulturkritik. Es sollte klar sein, wohin uns die Verherrlichung logisch-analytischen Denkens, ja die Absolut-Setzung dieser Erscheinungsweise der Intelligenz als der einzig mögliche Form zu Welterkenntnis zu kommen, geführt hat. Nämlich nicht nur zu Dampfmaschine, Penicillin, Aufklärung und zur Deklaration der Menschenrechte, sondern auch zu Kolonialismus, Ausbeutung, Faschismus und zur Atombombe.


Was ist nun dieses geheimnisumwitterte Ding "Computer", das von den einen als plumper Blechtrottel abqualifiziert wird, um von anderen wieder zum eigentlichen Ziel der Evolution ernannt zu werden. Tatsächlich ist Sachkenntnis nicht weit verbreitet gerade unter jenen Journalisten, Wochenendbeilage-Philosophen und Abendland-Untergangspredigern, die uns zur Jahreswende 1983/84 mit ihren apokalyptischen Visionen bedrängt haben und sicher auch in Zukunft darin fortfahren werden.


Eifrige Sachbuchautoren etwa vom Schlag eines Balkhausen, welche uns mit ungeheuren Zahlenkanonaden beeindrucken wollen, besorgen die Geschäfte der Silizium-Industrie. Dass ein Computer der ersten Generation etwa um 1950, verglichen mit einem heutigen Gerät von Schreibmaschinengröße, betrieben mit einer Radiobatterie, die Fläche von London bedecken würde und den Stromverbrauch des gesamten U-Bahn-Netzes hätte, ist zwar ungemein beeindruckend und beweist, zu welchen Leistungen logisch-analytisches Denken fähig ist. Dass diese Quantitäten von unserem Verstand nicht erfassbar sind, haben wir längst hingenommen. Beeindruckt nehmen wir die ungeheuerliche Leistungsfähigkeit dieser gigantischen Winzlinge, der Mikroprozessoren, zur Kenntnis und versuchen erst gar nicht zu verstehen, wie sie funktionieren. So erkennen wir nicht, dass nur ihre Geschwindigkeit unvorstellbar ist, nicht jedoch ihre Funktionsprinzipien. Aber das gehört zum Geschäft Angst und Resignation zu erzeugen, um jeden Widerstand im Keim zu ersticken. Hier soll nicht eine weltweite Verschwörung der Computerindustrie an die Wand gemalt werden, der wir hilflos ausgeliefert sind. Ganz im Gegenteil. Dieses Auffälige Sich-Berauschen an immer winzigeren Dimensionen und größeren Geschwindigkeiten weist nur hin auf die (möglicherweise nur vorläufige!) Unfähigkeit der Maschinenintelligenz, anderen als quantitativen Kriterien zu genügen. Ihre Utopien sind das durchaus beeindruckende, letztlich aber banale Fortschreiben linearen oder exponentiellen Wachstums.


Der  amerikanischen Computerwissenschaftler Josef Weizenbaum hat in „Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft“ in einer komprimierten Darstellung die Funktionsprinzipien so beschrieben: "Computer sind Maschinen, in denen jeder Prozess realisiert werden kann, der als Algorithmus beschreibbar ist." Also durch eine Anzahl von Regeln, die dem Spieler vorschreiben, wie er sich in einer bestimmten Situation verhalten muss. Daher lässt sich jedes Phänomen, von dem wir annehmen seine Verhaltensregeln zu kennen, durch ein Programm darstellen. Treten Fehler auf, so müssen Sie entweder in der fälschlichen Annahme liegen, auf diesen Zustand folge jener oder darin, dass das Problem nicht formalisierbar ist.


Zum Beispiel können wir Vorhersagen aus der Beobachtung eines Tieres ableiten, wie es sich in einer bestimmten Situation verhalten wird. Die Zuverlässigkeit unserer Prognose beruht hauptsächlich auf einem ganzheitlichen, größtenteils intuitiv ablaufenden Erkenntnisprozess. Diese komplexen Informationen sind weitgehend nicht erfass-, geschweige denn formalisierbar und können daher in einem Programm nicht vollständig beschrieben werden. Die Prognose des Computers wird daher falsch sein.


Realität muss im Programm so verändert werden, dass sie in einer Sprache eindeutig formuliert werden kann. Das bedeutet, dass entweder nur solche Prozesse darstellbar sind, die nach bekannten Spielregeln ablaufen und daher simulierbar sind oder, dass sie auf ihre Formalisierbarkeit reduziert werden müssen. Gerade hier liegt die eigentliche Problematik, liegen auch die Grenzen des umfassenden Einsatzes dieser Maschinen. Programme die versuchen, Prozesse in der Sphäre der lebendigen Materie nachzuzeichnen, führen regelmäßig zu falschen Ergebnissen. Man denke etwa an die computergestützten Vorhersagen in den Bereichen der Wirtschaft. In welch geringem Ausmaß mathematische Modelle, die hier zur Hilfe genommen werden müssen, der Wirklichkeit entsprechen oder auch nur eine ausreichende Annäherung ermöglichen, muss nicht näher erläutert werden. Dass trotzdem versucht wird, in diesen Bereichen weiterhin mit Computermodellen zu arbeiten, ist nur ein Hinweis darauf, in welch hohem Ausmaß Wissenschaftler sich von ihren naturgegebenen Begrenzungen Wirklichkeit zu erfassen entfernt haben. Jeder Autofahrer weiß, dass die kompliziert ineinander verschachtelten Bewegungsabläufe des Lenkens, Kuppelns, Schaltens, Gas-Gebens, Bremsens, Beobachtens, Blinkens, Hupens - die zur Bewegung in der Maschine notwendig sind - ihm so weit in Fleisch und Blut übergegangen sind, dass scheinbar ohne jede bewusste Steuerung diese Vorgänge ablaufen. Diese Verinnerlichung der Maschinengesetzlichkeit widerfährt jedem, der mit einem Computer arbeitet, in noch viel größerem Ausmaß, vollzieht sich doch hier die Interaktion der Maschine im zentralen Bereich menschlicher Existenz, in den Denkprozessen. Nicht die Maschine nähert sich dem Menschen an. Ganz im Gegenteil werden jene Abläufe ausgeschaltet, die nicht zur Kommunikation mit dem Computer geeignet sind. Die Mensch-Maschinen-Symbiose, die mit der Projektion bestimmter Wesensmerkmale menschlicher Existenz - nämlich ihrer formalisierbaren Aspekte - nach außen in die Maschine beginnt, führt in einer Rückkopplungsschleife wieder zur Angleichung an die Maschine.


Natürlich soll nicht der Eindruck vermittelt werden, maschinenhaftes Verhalten sei eine Sackgasse in der Evolution des Menschen. Es ist zweifelsohne eine wesentliche Voraussetzung für alle Formen gesellschaftlichen Verhaltens. Norbert Elias führt in seinem Buch „Über den Prozess der Zivilisation“ aus, wie in der abendländischen Gesellschaft zivilisatorische Zivilisation als Prozess zunehmender Affektregulierung gedeutet werden kann. Ist die unzivilisierte Phase gekennzeichnet durch Fremdzwang, so werden später Affekte durch ein dichtes Netz von Regelungsstrukturen umgebaut bzw. gebunden. Dieser Prozess der Zivilisierung wird in der Entwicklung des Kindes immer wieder neu durchlebt. In welch hohem Ausmaß unserer Gesellschaft gesellschaftliches Verhalten "maschinenhaft", also vorhersehbar regelhaft, zuverlässig und eindeutig ist, wird uns im allgemeinen nicht bewusst. Tatsächlich sind unsere Verkehrsformen so weit verinnerlicht, dass wir sie als subjektive Äußerungen erleben, als Teil unserer Persönlichkeit. In den sogenannten „Krisenexperimenten“ des Soziologen Harold Garfinkel werden Personen angeleitet, mit anderen harmlose Gespräche zu führen, in denen sie unvermittelt Unwissen über alltägliche Ausdrücke und Routinen vorgeben sollen. Diese Experimente führen regelmäßig zu unsicheren, ängstlichen, aggressiven Reaktionen. Das komplizierte Regelungssystem gesellschaftlicher Interaktion bricht zusammen und es wird deutlich, dass diese Verhaltensabläufe nicht selbstverständlich sind, sondern mit großem Sozialisationsaufwand verinnerlicht werden, um den reibungslosen Verkehr miteinander zu erlauben. Würde der Chirurg am Operationstisch statt des Skalpells die Bibel zur Hand nehmen und beten, bräche nicht nur der Spitalsbetrieb zusammen. In hoch vergesellschafteten, arbeitsteiligen und dadurch anonymen Beziehungsstrukturen, reduzieren maschinenhafte Verhaltensstrategien die Komplexität des Geschehens und üben entlastende Funktionen aus. Man kann sich darauf verlassen, dass der Interaktionspartner sich rollenkonform verhält.

Dieser Exkurs soll in Erinnerung rufen, dass der maschinenhafte Aspekt menschlichen Verhaltens und Denkens für die Sozialisation - und damit jegliche Kultur - von hoher Bedeutung ist. Widerstand zu leisten ist jedoch gegen die Durchwucherung unserer Zivilisation mir sinnloser "Maschinisierung".


Der Computer wird immer wieder als jenes Instrument dargestellt, welches erst die Lösung der gigantischen Steuerungsprobleme in militärischen, wirtschaftlichen oder sozialen Bereichen ermöglicht hat. Die neuen hochkomplizierten überschnellen Waffensysteme lassen sich nur mehr durch Computersteuerung bedienen; Systemanalysen erfordern schon allein aufgrund der unvorstellbar umfangreichen Rechenoperation den superschnellen Rechner; die Vorstellung, das unübersichtliche System des Wohlfahrtsstaates oder alleine der Verwaltung einer modernen Großstadt könnte ohne Datenverarbeitung aufrechterhalten werden, erscheint absurd. Aber dabei wird immer wieder übersehen, dass hier tautologisch argumentiert wird. Etwa nach dem Schema: Das System ist so komplex, dass zu seiner Handhabung der Computer entwickelt werden musste. Dabei fällt unter den Tisch, dass Systeme gerade deshalb so kompliziert werden, weil der Computer scheinbar deren Bewältigung ermöglicht; der Maxime folgend, dass gemacht wird was machbar ist.

Es hat keine Computerrevolution gegeben; was diese Maschinen können ist nur, Information besonders schnell zu manipulieren - nicht mehr! Selten noch wurde ein Werkzeug entwickelt in Hinblick auf eine neue Tätigkeit. Als Symbol fordert es jedoch die schöpferische Fantasie heraus, es in einen anderen Zusammenhang zu setzen. Erfindungen sind Projektionen von Symbolen aus einem hoch entwickelten Bezugsrahmen in einen neuen, niedrig entwickelten. Der Computer schafft erst die unüberschaubaren Organisationsformen, an denen die westliche Zivilisation zu ersticken droht. Ohne ihn müsste nach Alternativen gesucht werden.


Laien gehen oft davon aus, dass Computerprogramme durchgehend logisch zusammenhängend konstruierte Strukturen sind, deren Verhalten vollständig vorhersag- und deshalb kontrollierbar sind. Die Realität der EDV ist davon meilenweit entfernt. Die Erstellung großer Programme erfolgt nicht nach einem von allen Anfang an genau festgelegten Rahmenplan, sondern in einer endlosen Kette von Unterprogrammen, welche von verschiedenen Programmierteams formuliert werden. Laut Weizenbaum sind die meisten Programme nicht theoretisch fundiert, also etwa auf mathematischen Regeltheorien oder physikalischen Theorien aufgebaut. Bei Auftreten von Fehlern kann daher nur durch Einführen von ad hoc-Mechanismen korrigierend eingegriffen werden; die Vorstellung, dass dabei zielstrebig vorgegangen wird, ist jedoch irrig. Der Programmierer versteht nicht das Programm, sondern er versucht durch Probieren das erwünschte Verhalten zu erreichen, wobei im allgemeinen das Programm gar nicht aufgeschrieben wird, weil die Befriedigung nur in der schnellen Interaktion mit der Maschine gefunden wird, zu welcher der Programmierer häufig eine starke emotionale Bindung entwickelt. So entstehen Agglomerationen von Unterprogrammen, die unter jenen Umständen, die beim Probelauf gecheckt werden, funktionieren. Da jedoch keine durchgehende Theorie existiert, aus der sie abgeleitet worden sind, kann ihr Verhalten nur für jene Fälle die durchgespielt wurden vorhergesagt werden. Was aber beim Zusammenspiel der Subprogramme im Gesamtablauf passiert, ist in noch höherem Grad nicht vorhersagbar. Diese Systeme entziehen sich somit, je umfangreicher sie werden, um so mehr dem Verständnis, eine Einsicht in ihre Regeln ist nicht möglich. Wichtig vor allem aber ist, dass auch der korrigierende Eingriff in das Programm unmöglich wird, da angesichts dieses Verständnisdefizites jede wesentliche Modifikation zur Lahmlegung des gesamten Programmes führen kann, ohne dass eine Reparatur danach möglich wäre. Aus diesem Grund werden weiter Adhoc-Strategien angewendet, neue Subsysteme eingebaut u.s.w.


Wie kürzlich bekannt geworden ist, werden vom Raketenabwehrsystem der Vereinigten Staaten häufig Fehlalarme ausgelöst. Das hat nichts damit zu tun, dass die Computer fehlerhaft arbeiten, sondern ist darauf zurückzuführen, dass die sie steuernden Programme viel zu kompliziert sind, um homogen strukturiert sein zu können. Zwar wird durch Einsatz von Programmier-Programmen versucht diesem Problem zu begegnen, doch kann schon aus prinzipiellen Gründen dadurch nur eine quantitative Verschiebung erreicht werden. In den undurchschaubaren, nicht verstehbaren Programm-Netzwerken verflüchtigt sich jede menschliche Verantwortung. Entscheidungen trifft der Computer.


Die Korrumpierung der Sprache - und damit auch des Denkens - durch die technischen Eliten ist in allen Bereichen weit fortgeschritten. Konflikte, Widersprüche, ethische oder moralische Fragen werden vorwiegend unter operativen Gesichtspunkten gesehen. Andere Annäherungen wären ja für den Computer, bzw. das an diesem und durch diesen "geschulte" Denken, nicht handhabbar und werden daher vernachlässigt. Es gibt nur mehr Probleme, die "zu lösen" sind. Dafür zuständig sind die „Problemlöser“ die alles als technisches Problem behandeln. Einfachste Kriterien werden angewendet, um Differenzen festzustellen. Mittel zur Reduktion von nicht vollständig erfassbarer Komplexität werden gesucht, um "Problemlagen" so weit zu vereinfachen - gleichsam wie ein medizinisches Präparat am Objektträger, hergerichtet zur Betrachtung unter dem Mikroskop - dass diese bearbeitbar und auch "lösbar" erscheinen. Reale, komplexe Lebenswirklichkeit wird so aber nicht mehr abgebildet, der Fehlschlag "vorprogrammiert". Die Krisenmanager vom Schlage etwa eines Henry Kissinger eilen von Konflikt zu Konflikt, den sie mit technischen Begriffen verbessern bzw. in den Griff bekommen wollen. Grundlegende Konflikte die nicht lösbar sind, kommen in ihrem Denken nicht vor, weil damit nicht operiert werden kann. Daher scheitern sie immer aufs Neue und eilen unbeirrbar zum nächsten Problem und Scheitern weiter.


Techniker stellen die Entwicklung zur umfassenden elektronischen und digitalen Vernetzung als Zwangsläufigkeit dar, der man folgen müsse, um damit nicht vom angeblichen Sachzwang „an die Wand“ gedrückt zu werden. Dieser exkulpiert von jeglicher Verantwortung - so als säßen wir im nicht bremsbar dahinrasenden Zug, von dem wir nicht abspringen dürfen, um ihn am Abgrund vorbei lenken zu können. Natürlich beschränkt sich diese Weltsicht nicht nur auf die Techniker: Juristen beklagen zwar die immer undurchschaubarere Flut von Gesetzen, Verordnungen, Weisungen und Nominierungen, aber eine ernsthafte, fundamental ansetzende Kritik wird nicht versucht. Das gleiche gilt für das "Steuer-Unwesen", das komplizierte, ineffektive System der Umverteilung, der Förderung etc. Überall findet sich das Gefühl, nicht eingreifen zu können. Fasziniert starren alle auf die sogenannte Eigengesetzlichkeit der Entwicklung. Jeder Eingriff könnte das System zerstören, es kann daher nur weiter ausgebaut werden.

Die  Systemstabilisierer versuchen uns einzureden, der Computer sei unser Schicksal und geben sich fortschrittlich. Aber wo auch immer diese eingesetzt werden, dienen sie der Systemstabilisierung. Hier soll nicht der "Maschinen-Stürmerei" das Wort geredet werden. Es ist aber an der Zeit, diese Maschinen zu entmythologisieren, sich klar zu werden, dass sie nur leistungsfähige Werkzeuge in der Hand der Menschen sind. Ihre Grenzen zu erkennen wird die Aufgabe dieses Jahrzehnts sein. Ihr Vordringen in alle Bereiche der Arbeitswelt und gleichermaßen in die Sphäre des Privaten wird nicht aufzuhalten sein. Zugleich wird aber auch Vielen die Möglichkeit gegeben werden, aus unmittelbarer Erfahrung die Grenzen der neuen Maschinen zu erkennen.

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