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Um des lieben Friedens willen? (28.Juli 2023)

"Mit beiden Fäusten, nach rechts und links, muss Deutschland jetzt zuschlagen, der doppelten Umklammerung seiner Gegner sich zu entwinden. Jeder Muskel seiner herrlichen Volkskraft ist angespannt bis zum Äußersten, jeder Nerv seines Willens bebt von Mut und Zuversicht. Erstarkt in mehr als vierzig fruchtbaren Friedensjahren und doch keineswegs verweichlicht in ihnen, ehern gerüstet durch das stete Bewusstsein reger Feindesnähe und in all diesen Friedensjahren in jeder Minute zum Krieg bereitet durch jenen besonnenen Ernst der Voraussicht, der wertvollstes Merkmal deutschen Wesens bildet, tritt es an unsere Seite zur Schwertbruderschaft."


Welcher kriegslüsterne Hurrapatriot das im August 1914 geschrieben haben mag, ist kaum zu vermuten. Es war der große Europäer, Kosmopolit und kulturbeseelte, zutiefst pazifistische Humanist Stefan Zweig. (S. Zweig in der Neuen Freien Presse v. 06.08.1914). In seiner autobiografischen Rückschau auf "Die Welt von Gestern" hat er seine anfängliche Kriegseuphorie allerdings gerne vergessen.


Wie ist das möglich, nur eine einmalige Entgleisung? Nicht nur Zweig, sondern auch Hofmannsthal, Rilke, Alfred Polgar, Gerhard Hauptmann und viele andere Größen des europäischen Geisteslebens ließen sich in den Strudel der Kriegsbegeisterung am Beginn des 1. Weltkriegs hineinziehen. Nicht alle so bedingungslos und sprachlich obszön wie Zweig, aber doch offensichtlich der allgemeinen Begeisterung folgend. Sogar Thomas Mann schrieb im August 2014: "Deutschlands ganze Tugend und Schönheit entfaltet sich erst im Kriege. Es wird freier und besser daraus hervorgehen, als es war." (Th. Mann, Gedanken im Kriege, 1914)


Auch der große Pessimist Sigmund Freud erlag dem patriotischen Sog. So ist in einem Brief an seinen Freund Karl Abraham aus dem Juli 2014 nachzulesen: "Ich fühle mich aber zum ersten Mal seit 30 Jahren als Österreicher und möchte es noch einmal mit diesem wenig hoffnungsvollen Reich versuchen. Die Stimmung ist überall eine ausgezeichnete. Das Befreiende der mutigen Tat, der sichere Rückhalt an Deutschland tut auch viel dazu." (Leupold-Löwenthal, in Aggression und Krieg, 1994)


Diese Kriegseuphorie großer Geister sollte allerdings mehr oder weniger rasch der Ernüchterung weichen, als die Berichte und Bilder vom Grauen der Massenmorde auf den Schlachtfeldern auch die Elfenbeintürme der geistigen Eliten erreicht hatten. War vor dem Weltkrieg der Pazifismus einer Berta von Suttner noch eine Randerscheinung geblieben, so schien es, dass die Schlachtrufe  "Die Waffen nieder" und "Nie wieder Krieg" danach in der Mitte der Gesellschaft angekommen waren. Die Befürworter von 1914 hatten die Lehre gezogen aus der Menschheitskatastrophe. Zweig, Freud und Thomas Mann unterzeichnen 1930 ein Manifest, in dem es hieß: "Fort mit der Militarisierung! Fort mit der Wehrpflicht! Erzieht die Jugend zur Menschlichkeit und zum Frieden!"(O. Nathan/H. Norden, 2004)


1932 wendet sich der leidenschaftlich engagierte Pazifist Albert Einstein, der schon im 1. Weltkrieg aktiver Unterstützer von Kriegsdienstverweigerern gewesen war, auf Initiative einer Teilorganisation des Völkerbundes an Freud mit einem Brief. Darin drückte er seine Hoffnung aus, von diesem "...Kenner des Trieblebens.."Antwort zu bekommen auf die Frage, ob er einen Wege sehe, "... die Menschen von dem Verhängnis des Krieges zu befreien....und die psychische Entwicklung der Menschen so zu leiten, dass sie den Psychosen des Hasses und des Vernichtens gegenüber widerstandsfähiger werden." Freuds Antwort war sehr ausführlich, konnte aber dem Suchenden nur wenig Hoffnung machen. Er erklärte ihm die menschliche Evolutionsgeschichte und die Funktionen des Destruktiven im Menschen und hoffte auf die weitere Entwicklung der Zivilisation: "Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg." Einsteinwar mit diesem knappen Resümee wohl nicht zufrieden.


So wie Berta von Suttner hatte auch Einstein keinen "gesinnungsethischen", sondern einen "verantwortungsethischen" Zugang zum Pazifismus, verabsolutierte also nicht die Verdammung der Anwendung von Gewalt, beispielsweise, um die Aggression eines Angreifers abzuwehren. Das war aber nicht immer so gewesen. Zwei Jahrzehnte lang hatte er sich aktiv für die Rechte von Kriegsdienstverweigerern eingesetzt. Mit der Machtergreifung Hitlers ändert sich aber vieles für ihn. Im Sommer 1933 verweigert er die Unterstützung von zwei inhaftierten belgischen Kriegsdienstverweigerern. "Er sah im faschistischen Deutschland den zukünftigen Aggressor, gegen den man sich mit Waffengewalt verteidigen werden müsse und rief die Westmächte zur Aufrüstung auf" (Nach Irene Armbruster, 2005). Die meisten seiner pazifistischen Gesinnungsgenossen sahen das anders. Im September 1933 schreibt er "Die Antimilitaristen fallen über mich her als bösen Renegaten. Die Kerle haben eben Scheuklappen und wollen die Vertreibung aus dem Paradies nicht erkennen." (I. Armbruster, 2005). Der Wehrdienstverweigerer kompromisslos verteidigende Einstein zwischen 1914 und 1932 war kein anderer als jener, der 1933 die Westmächte zur Aufrüstung und 1939 den amerikanischen Präsidenten zur Entwicklung einer Atombombe aufforderte. Es war der selbe, der früher geschrieben hatte "...Heldentum auf Kommando, sinnlose Gewalttat und die leidige Vaterländerei, wie glühend hasse ich sie, wie gemein und verächtlich erscheint mir der Krieg..." Der Unterschied bestand nur darin, dass er 1933 zu Recht erkannt hatte, Hitler nur durch Gewalt stoppen zu können.


Als er im Juli 1939 von seinem Physiker-Kollegen Leo Szilard erfährt, Hitler baue möglicherweise an einer Atombombe, unterschreibt er kurzentschlossen einen davor warnenden, von Szilard vorformulierten Brief an Roosevelt, mit der dringenden Empfehlung Hitler zuvor zu kommen. Das gab den entscheidenden Anstoß zur Entwicklung der Atombombe im Manhattan-Projekt.

Heute erinnert vieles an den Kontroversen, rund um die Frage "Für und Wider ein bewaffnetes Engagement des Westens" auf Seiten der von Russland angegriffenen Ukraine, an Einsteinspersönliche Entwicklung vom Kriegsdienstverweigerer hin zum hartnäckigen Promoter der Atombombe.


Scheinbar stehen einander wieder zwei friedensbewegte Lager unversöhnlich gegenüber. Gesinnungs-Pazifisten, die jegliche Form von Gewaltanwendung ablehnen, werfen jenen, welche die Bewaffnung der Ukraine fordern, Bellizismus vor; Verantwortung-Pazifisten beschwören unsere mitmenschliche Pflicht, den vom Aggressor Angegriffenen mit allen Mitteln, also auch Waffen, zur Seite zu stehen.


In Deutschland kulminierte diese Auseinandersetzung im Frühjahr 2022 in den Diskussionen rund um 2 einander widersprechende "Offene Briefe" an Bundeskanzler Scholz. Der erste Brief wurde im April 2022 in Alice SchwarzersZeitschrift "Emma"veröffentlicht, der bei vielen Intellektuellen und Kulturschaffenden große Zustimmung fand. Darin wurde der Bundeskanzler beschworen, zu seiner ursprünglichen Position zurückzukehren, keine Waffen zu liefern und alles zu unternehmen, um einen Waffenstillstand sowie einen für beide Seiten annehmbaren Kompromiss zu erreichen. Die reale Gefahr eines 3. Weltkriegs sowie das ungeheure Ausmaß an menschlichem Leid und Zerstörung stünden ab einem gewissen Zeitpunkt in einem "...unerträglichen Missverhältnis..." zum "...berechtigten Widerstand gegen einen Aggressor".


Ein Monat später reagierte eine Gruppe von Intellektuellen, rund um Herta Müller und Max Biller, mit einem in der Zeitschrift "Die Zeit"veröffentlichten "Offenen Brief" an den Bundeskanzler, der die Gegenposition bezog. Putins Drohung mit dem Atomkrieg sei "..Teil der psychologischen Kriegsführung..". Sein "...bewaffneter Revisionismus..." wäre ein Angriff auf die "...europäische Friedensordnung". Ginge er als "...Sieger vom Feld...", würde er ermutigt, so wie bisher mit Aggressionen erfolgreich weitermachen zu können. "Der Gefahr einer atomaren Eskalation müsse durch glaubhafte Abschreckung begegnet werden".


Heute sehe ich in diesen scheinbar gegensätzlichen Briefen allerdings keine unauflösbare Konfrontation von "Bellizisten" mit "Pazifisten". Mir scheint der Anteil rein gesinnungsethisch Gestimmter unter den Friedensbewegten inzwischen kleiner geworden zu sein. Diese Spielart des Pazifismus verweigert aus prinzipiellen Gründen jegliche Anwendung von Waffengewalt, setzt den Friedenserhalt als obersten Wert über alle Menschenrechte. Damit entzieht er sich jedoch, in letzter Konsequenz, der aktiven Auseinandersetzung in eskalierten Konflikten. Im konkreten Fall wirkt manche Argumentation so, als erklärte man dann dem Überfallenen, aus dieser bequemen Diskursecke heraus, "dass sie um des lieben Friedens willen, doch endlich aufhören sollten, zu kämpfen. Weiterhin sich im Kampf aufzuopfern, würde doch den Täter nur zu neuen Gräueltaten reizen."(Nach N. Blome, Spiegel 2023).


Als mit Fortgang des Krieges immer mehr verbrecherische Taten der Aggressoren bekannt wurden,  begannen sich die Grenzen zwischen "Bellizisten"und "Pazifisten"aufzuweichen, die Positionen sich anzunähern. Das wird deutlich sichtbar in einem Interview, das Alice Schwarzer der "Welt am Sonntag" gab, ein Jahr nach ihrem offenen "Keine-Waffen-an-die-Ukrainebrief" an Scholz. Darin erklärte sie ihre aktuelle Position zum Krieg. ("Welt am Sonntag", 17, April 2023, Jacques Schuster mit Alice Schwarzer).


Schwarzer  würde jetzt zur Konfliktbeendigung den Rückzug der Russen auf die Grenzen vor Kriegsbeginn anstreben sowie einen Neutralitätsstatus der Ukraine, mit Europa als Garantiemacht. Weiters sollte der Donbasseinen Sonderstatus erhalten und nach 10 Jahren eine Volksabstimmung auf der Krim über den Verbleib bei Russland abgehalten werden. Auf die Frage, ob ihr klar sei, dass im Fall eines russischen Vertragsbruches, die Bundeswehr - und damit die Nato -als Garantiemacht in die Ukraine einmarschieren müsse, antwortete sie: "Das wäre dann wohl unvermeidlich." Die Position "Alles, nur keine Waffen an die Ukraine" hatte sich innerhalb eines knappen Jahres zur Bereitschaft gewandelt, die Waffe in die Hand zu nehmen, um selbst in den Konflikt einzugreifen. Auf die überraschte Reaktion des Journalisten, "Wow, die Gesinnungsethikerin Alice Schwarzer wird plötzlich zur leibhaftigen Realpolitikerin", reagierte Schwarzer lachend: "Ich war noch nie eine Ideologin und immer eine Realistin."


Nach Putins Überfall auf die Ukraine war in zahlreichen Kommentaren zu lesen, es sei die ein Dreivierteljahrhundert währende Friedensepoche in Europa durch den Ukrainekrieg beendet worden. Um die Zeit nach dem Ende des 2. Weltkriegs so sehen zu können, bedarf es allerdings einer besonderen Form von Blindheit. Ganz abgesehen davon, dass dieser Krieg, viele Jahre zuvor, bereits mit der Annexion der Krim und dem Separatistenkrieg im Donbassbegonnen hatte, was hierzulande gerne ignoriert wurde, wird auch gerne auf die 10 Jahre dauernden Jugoslawienkriege vor unserer Haustüre vergessen.


Übersehen, vergessen und sich herauszuhalten, um des lieben Friedens willen, wurde hier, auf der Insel der Seligen, allzu lange für eine Tugend gehalten. Eine Eigenschaft, die uns das Geschäftemachen mit Diktaturen und Brückenbauen zu Autokraten schon immer leicht gemacht hat. Es ist höchste Zeit, diese Haltung zu ändern.

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