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Die ersten Jahre (2015)

Ich bin in einer Handwerkerfamilie aufgewachsen. Meine Mutter, eine gelernte Schneiderin aus einer katholischen Eisenbahner-Familie mit Weingarten in Strasshof, ging als unternehmungslustige 23-Jährige 1937 mit einer Freundin als Au-pair-Mädchen nach London. Kurz vorher hatte sie in einem Wiener Prater-Cafe mit Tischtelefon meinen Vater kennen gelernt.


Mein Vater stammt aus einer Wiener Handwerkerfamilie. Der Großvater besaß eine kleine Spenglerei in der Wiener Brigittenau. Die Großeltern führten ein, für die Verhältnisse dieses doch weitgehend proletarisch bestimmten Bezirks, großes Haus. Viele Verwandte, unverheiratet gebliebene Cousinen, Tanten und Onkel fanden hier ihr Lebenszentrum, familiäre Geborgenheit. Von den 6 Geschwistern bildeten die 3 ältesten - 3 Brüder - eine unzertrennliche Gemeinschaft. Die religiösen Großeltern mussten früh erleben, wie mein Vater sich, wie so manche seiner Generation, den Sozialisten und später - nach der Enttäuschung über das von vielen so empfundene Versagen der Parteiführung in der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner - den Kommunisten zuwenden sollte. Folgerichtig führte ihn sein Weg aus der trügerischen Geborgenheit der jüdischen Großfamilie in die Illegalität. Vor dem Einmarsch der deutschen Armee im 38er-Jahr nach Prag flüchtend, entging er im März 1939 nur knapp seiner Verhaftung durch Flucht, im Viehwaggon versteckt, vorerst nach Polen und dann über den Skagerrak nach England. Dort wurde er vorerst als feindlicher Ausländer interniert, dann in die Home-Guard und später in die britische Armee aufgenommen, wo er seinen Platz für Sonderaufgaben finden sollte.


Meine Eltern, welche auf so unterschiedliche Weise nach England gekommen waren, hatten in Wien Adressen getauscht und fanden in der Emigration zueinander. Im Sommer 1941 kam meine Schwester Evelyn zur Welt, im Frühjahr 1945 wurde ich in Isleworth geboren.

2 Jahre später bestimmte die Partei meinen Vater, der mit seiner kleinen Familie inzwischen ein gut integrierter Teil einer deutschsprachigen Emigrantengemeinschaft  geworden war, nach Österreich zurückzukehren, um mitzuhelfen - wie es damals so euphemistisch hieß - "den Kommunismus aufzubauen."


Die ersten Bilder meiner Kindheit: Vergilbte, winzige Schwarz-Weißfotos im Sepia-Ton mit gezacktem Büttenrand. Darauf zu sehen ein riesengroßer dunkler Kinderwagen, daneben meine Schwester mit kurzen Pippi-Langstrumpf-Zöpfen und verkniffenem Gesicht, meine Mutter, eine schöne, schlanke Frau mit feinen Zügen, elegant im Stil der späten 20er-Jahre gekleidet, den prallen Säugling im Arm. Ich soll bei der Geburt mehr als 5 Kilo gewogen haben. Mein Vater daneben, gut 10 cm kleiner als meine Mutter, in Uniform der britischen Armee, mit Schnürstiefeln und Käppi, stolz und freundlich in die Kameralinse lächelnd.


Ein weiteres Bild, ein inneres: Meine Mutter schreit entsetzt auf: "Bist du wahnsinnig!" Mein Vater springt trotzdem, mit mir auf dem Arm, hinauf auf die offene Plattform eines bereits in Fahrt befindlichen Straßenbahnwaggons; dort stehen meine Mutter und meine verängstigte Schwester. Das muss am Praterstern in Wien, nicht weit von den Resten des zerbombten, alten Nordbahnhofes gewesen sein.


Auch häusliche Bilder eines vergnügt singenden, Mandoline spielenden Vaters. Aber auch die quengelnde Stimme meiner latent unzufriedenen Mutter. Nach unserer Rückkehr aus England musste sie nicht nur uns Kinder und den Haushalt versorgen, die wenigen Pausen nutzend, um mit Näharbeiten das Familieneinkommen aufzubessern. Einer ihrer Brüder, Onkel Leonhart, der in Jugoslawien bei den Tito-Partisanen gekämpft hatte, war entwurzelt aus dem Krieg zurück gekommen und wurde in die kleine Wohnung aufgenommen. Später suchte er sein Auskommen als Holzfäller in den Wäldern der Steiermark. Seinen Platz nahm der dicke Onkel Leopold ein, der schwer zuckerkrank und, wie sich später herausstellen sollte, auch mit Multipler Sklerose aus der russischen Kriegsgefangenschaft heimgekommen war. Nicht zu vergessen das Intermezzo mit dem Bettgeherim kleinen Kabinett der Zweieinhalb-Zimmerwohnung. Ihn sahen wir kaum: Er kam, wenn wir schon schliefen und ging früh, bevor wir aufstanden. Es war für Mutter einfach zu viel.


Die unternehmungslustige, junge Frau, welche voller Träume in die große Welt, nach England aufgebrochen war, flüchtend aus der Enge ihres Elternhauses und Berufes, fand sich 10 Jahre später wieder an einem Ort, wo sie sich sicher niemals hingewünscht hätte: Abends an der Singer-Nähmaschine, das den Riemen antreibende Pedal tretend, während Vater jeden Werktag-Abend in der Sektion Blauensteiner der Kommunistischen Partei mit seinen Genossen verbrachte.


So mancher geflüsterte, abendliche Streit meiner Eltern drang durch die schlecht schließende Türe an die Ohren der verwirrt in ihren Betten lauschenden Kinder. Nie gab es Streit vor unseren Augen. Später gab es  Versuche meines Vaters, Mutter mehr in sein politisches Leben abseits der Familie hineinzunehmen. Sie gab die Näh-Heimarbeit auf und begann im Haushalt des Nationalratsabgeordneten HonnerArbeiten zu übernehmen. Ich musste daher als 3-Jähriger in den Werkskindergarten der Siemens-Schuckert-Werke, in der Brigittenauer Engerthstraße   gehen.


Eine tiefe Spur in meiner Erinnerung: Ich werde von Herrn Honnerauf dem rot gepolsterten Beifahrersitz im schwarzen "Tatra" nach Hause gebracht. Ein riesengroßes, elfenbeinfarbenes Lenkrad und der Tachometer dahinter, dessen zitternde Nadel senkrecht steht.


Meine Eltern fanden wieder zu gemeinsamen Themen, aber Mutters latente Feindseligkeit blieb spürbar. Sie gab dann, als Vater mehr verdiente, die Tätigkeit bei den "Honners" auf.


Ich ging jedoch weiter in den Kindergarten und nachfolgend in den Hort in der Engerthstraße, ein auch für die Augen Erwachsener riesiges Gelände: Ein Fußballplatz, ein mit feingewalzter Hochofenschlacke belegter Volleyballplatz, ein Betonschwimmbecken, welches ich oft erst zitternd, mit blauen Lippen und aufgequollener, gerippter Fingerhaut widerstrebend verließ, eine mächtige Schaukel, der Korb getragen von Eisenstangen, die sich quietschend in den Angeln drehten, auf der man so hoch aufschwingen konnte, dass man fast kopfüber hing, was nicht ich, sondern nur die Mutigsten wagten. Sandkisten natürlich und große Wiesen mit Obstbäumen, zum Beklettern zwar nur widerstrebend, aber doch freigegeben. Ein Paradies! Heute steht dort ein hermetisch verspiegelter Palast, das zentrale Verwaltungsgebäude der "Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter und Angestellten".


Mit Vier durfte ich schon alleine - immerhin ein Weg von gut 20 Minuten - in den Kindergarten beziehungsweise nach Hause gehen. Autos gab es damals noch kaum in Wien, geschweige im Arbeiterbezirk Brigittenau. Nur hin und wieder von schweren Pinzgauerngezogene Fuhrwerke, die polternd die kopfsteingepflasterten Straßen befuhren. Links und rechts war der Weg von den Ruinen zerbombter Fabriks - und Lagerhallen gesäumt, spätere Abenteuerspielplätze meiner Volksschulzeit. Die Lagerflächen entlang der Donau waren bevorzugte Zielgebiete der alliierten Bomberflotten gewesen.


Kaum vorstellbar für heutige Kindheit in der Großstadt war das Ausmaß an Bewegungsfreiheit, welches wir genießen konnten. Unauslöschbar die Bilder vom großen Eisstoß auf der Donau. Mein Volksschulfreund Sepp im Indianer-Kostüm, ich als Seeräuber im grün-weiß gestreiften "Ruderleiberl", aufgeregt von Scholle zu Scholle am Ufer springend: Wir waren vom langweiligen Kostümfest des Horts zum nahe gelegenen Ufer ausgerissen.


Das ist dann doch aufgefallen, der Ausflug endete zuhause, im Bett mit Wärmeflaschen und Spitzwegerich-Tee. Meine Mutter war so schreckstarr, dass sie nicht einmal daran dachte, mich zu bestrafen. Das kam erst später.


Meine frühe Kindheit ist in meiner Erinnerung ein herrliches Reich der Freiheit gewesen.  Das Lernen in der Schule fiel mir leicht, so war es für meine Eltern klar, dass ich eine höhere Schule besuchen sollte. Dass meine um 4 Jahre ältere, aus meiner damaligen Sicht auch viel klügere Schwester nicht gehen durfte, hat sie mir lange nachgetragen.


Manchmal brachte Vater "Parteigenossen" nach Hause, vielleicht auch, um Mutter mehr in seine politische Lebenswelt hereinzunehmen. Aber so recht sollte das nicht gelingen. Sie blieb weiter unversöhnlich und abweisend gegenüber seinen, wie sie es nannte, "Parteifreunden". Letztlich hat sie es immer bereut, 1947 nach Österreich zurückgekehrt zu sein. So konnte es auch Vater nicht gelingen, mich, den Buben, in die für Kinder vorgesehene Parteiorganisation zu bringen. Es blieb dabei, dass ich beim 1. Mai-Aufmarsch, als 9-Jähriger kleine Fahnen tragend, zum Parlament mitmarschierte. Mehr war für meine Mutter nicht denkbar.


So blieb mir am Nachmittag nach der Mittelschule viel Zeit, welche ich meist, als Mitglied einer eingeschworenen Vierermannschaft, Fußball spielend, auf einem kleinen, mit hohem Drahtzaun eingefriedeten Hartplatz im Augarten verbrachte, eine Minute von unserer Schule entfernt, dem RG20 Unterbergergasse.


Meinen zwei Kindern konnte ich später kaum vermitteln, dass man damals weder nachmittags, schon gar nicht aber am Abend oder Wochenende, auch als nur durchschnittlich Begabter, für die Schule lernen oder üben musste. Das kam nur ausnahmsweise, etwa vor Schularbeiten oder größeren Prüfungen vor. In der Regel genügte es, in der Pause vor der Schulstunde den letzten Stoff zu überfliegen. Heute bin ich überrascht, wie viel Bildungswissen uns damals trotzdem bleibend vermittelt werden konnte.


Viel Zeit blieb auch für das Lesen. Ein "Eldorado" fand ich in der nahe gelegenen Städtischen Bücherei, in deren für mich damals unfassbaren Fülle vor. Aber auch in einem begnadeten Bibliothekar, der es verstand, mich nahezu unspürbar in die Bücherwelt einzuführen. Nie habe ich bemerkt, dass er mich in irgend eine Richtung bestimmte. Er empfahl mir Bücher, denn die Regale waren für die kleinen Kunden nicht zugänglich und meist fand ich sie in irgendeiner Weise spannend oder interessant. Im Nachhinein erkenne ich, dass es für Ihn keinen Unterschied zwischen "Hoher" - und Trivialliteratur gab, nur den zwischen schlecht oder gut geschriebener. So war ich beschenkt mit der Möglichkeit, mich ohne Scheuklappen in die Welt der Bücher einlesen zu können. Auch unterschied er nicht zwischen Kinder - Jugend- und Erwachsenenliteratur. Da las ich etwa als 11-Jähriger begeistert Zolas´ "Germinal"neben den "Buddenbrooks" und "Die Schatzinsel", Jakob Wassermann und historische Romane über den "30-jährigen Krieg".


Nicht wusste mein freundlich gesinnter Bibliothekar, der aus dem Weltkrieg ein Holzbein mitgebracht hatte, dass ich mein geringes, wöchentliches Taschengeld regelmäßig in eine, praktischerweise neben meiner Schule liegende Leihbücherei für "Schundromane" trug. Dort gab es für 2 Schillinge 240 Seiten starke und im Schnitt wohl 4 cm dicke Bücher auszuleihen, welche man in 3 bis 4 Stunden auslesen konnte, aufgeregt in eine gefährliche Welt "rasender Eifersucht", "übermenschlichen Heldenmutes" und "grausamer Verbrechen" eintauchend. Von dieser Erfahrung leitet sich wohl her, dass ich noch heute mit Vergnügen Romane von Grisham und Don Winslow & Co im Urlaub verschlinge. Zugegeben, nicht mehr mit jener uneingeschränkten Faszination, welche meinen vorpubertären Jahren vorbehalten blieb.


Als im Jahr 1956 der "Ungarnaufstand" losbrach, bekamen wir in unserer Wohnung Zuwachs. Bislang hatte ich meinen Vater als strenggläubigen Kommunisten wahrgenommen. Welche inneren Kämpfe mag er durchlitten haben, unser Heim Ungarnflüchtlingen zu öffnen? Übernachtende Gäste zu Hause? Das waren bisher nur Verwandte gewesen, welche sich, rechtzeitig flüchtend, vor den Nazis in Sicherheit bringen konnten und nunmehr aus New  York, Brasilien, England oder Israel für einen kurzen Urlaub zurück in ihre alte Heimat kamen. Oder vielleicht auch "Genossen" aus dem Ausland, welchen Vater - sehr zum Missfallen meiner Mutter - Gastlichkeit erwies. Aber vor den Panzern der Sowjets flüchtende "Konterrevolutionäre"? Mein Vater, in dessen Wohnung die in schwarz-weiß, auf dickem Kunstdruckpapier gedruckte Propagandazeitschrift "Sowjetunion Heute", neben der Tageszeitung "Die Volksstimme", dem "Zentralorgan der Kommunistischen Partei Österreichs", ständig auflag; mein Vater, den ich im Streit mit seinen zwei, den Krieg in der Emigration überlebenden Brüdern erlebt hatte, welche ihm ohne Aussicht auf Erfolg vorwarfen, völlig blind angesichts der Verbrechen des "Stalinismus"zu sein, um dann, letztlich aus diesen Gründen, zu ihm jeden Kontakt abzubrechen. Eben dieser überzeugte, linientreue Kommunist öffnete seine Türe den "Konterrevolutionären".


Erst spät - viel zu spät - habe ich begriffen, dass für meinen Vater, dem "Hero" meiner Kindheit, damals eine Welt zusammengebrochen ist. Wie gequält muss ich ihn haben, wenn er sich mir in der nachfolgenden Zeit meiner pubertär gestimmten Auseinandersetzung mit ihm, beziehungsweise stellvertretend mit seinen politischen Überzeugungen, in endlosen, wochenendlangen Diskussionen gestellt hat. Überzeugungen verteidigend, welche längst nicht mehr die seinen gewesen sein konnten, geduldig und ruhig für sie - sein zerbrochenes Weltbild - argumentierend. Manchmal in diesen Kämpfen zwischen alterndem Vater und pubertierendem Sohn siegend, öfter aber auch sich gekränkt zurückziehend.


Bald danach, jedenfalls zu früh für mich, ist er mit 62 gestorben. Zu früh für mich damals 20-Jährigen, der noch nicht verstehen konnte, wie schwer er an den verlorenen Illusionen zu tragen hatte. Wie gerne hätte ich ihm später gesagt, wie sehr ich ihn für seinen Mut, seine Freundlichkeit und Lebensfreude, seine große Toleranz im Umgang mit Andersdenkenden wertschätze und wie sehr er in seinem "So-Sein" mein inneres Bild von Männlichkeit geprägt hat. Wie dankbar ich ihm dafür bin, dass er sich in seiner Lebenskrise dem Heranwachsenden gestellt und nicht entzogen hatte.


In den letzten Jahren meiner Mittelschulzeit verstärkte sich, neben meinem frühen Interesse an Literatur, welches durch den hervorragenden Unterricht meines Deutschprofessors weiter gefördert wurde, mein Interesse an der Malerei so weit, dass ich beschloss, Maler zu werden. Peter Patzak, der mein Klassenkamerad war und, bevor er sich dem Film zuwenden sollte, sich gleichfalls für Malerei und Literatur interessierte, hatte zu Rudolf Hausner, einem Maler der Schule des "Wiener Phantastischen Realismus", gute Kontakte. So ergab es sich, dass wir im damaligen Studententheater in der Biberstraße, wo später die "Pradler Ritterspiele" ihr vergnügliches Unwesen treiben sollten, unsere erste Ausstellung machen konnten. Ich jedenfalls kam mir sehr bedeutend vor. Mein Zeichenprofessor war, wohl zu Recht, nicht so sehr von meiner Begabung überzeugt, was er mir auch zu verstehen gab und wofür ich ihn von Herzen hasste.


Natürlich schrieb ich, wie so viele andere 16-Jährige, an einem Roman und fabrizierte Gedichte. Genau so wie mein Freund Wilhelm Pevny, der auch in meine Klasse ging und dann, mit einigem Erfolg, dabei bleiben sollte. Das anwachsende Interesse an den "Schönen Künsten" war naturgemäß indirekt proportional zu meinem Interesse an schulischen Belangen, was sich in einer durchaus beträchtlichen Anhäufung von Fehlstunden manifestierte. Diese verbrachte ich vorzugsweise im Kaffeehaus schreibend und mich dabei sehr wichtig fühlend. Zuhause malte ich, statt mich auf die drohende Matura vorzubereiten. Noch heute bin ich meinem damaligen Klassenvorstand dankbar, dass er mich in diesen beiden letzten Schuljahren vor dem Zorn mancher seiner nicht so verständnisvollen Kollegen geschützt und bis zur Reifeprüfung "durchgetragen" hat.


Nach der Matura fuhr ich für ein halbes Jahr in die Schweiz, um in einem Hotel Geld zu verdienen. Anschließend reiste ich meiner großen Jugendliebe hinterher, die als Au-pair-Mädchen nach London zur Familie eines Oberhausmitglieds gegangen war. Dort angekommen, musste ich leider feststellen, dass junge Liebe schnell vergehen kann: Ich war durch den Sohn des Hauses, einem angehenden Zahnarzt, ersetzt worden. Nach einigen einsamen Monaten, in welchen ich meinen Lebensunterhalt am Fließband einer Elektrogeräte erzeugenden Fabrik verdiente und niemanden in der Stadt kannte, machte ich mich gekränkt auf den Rückweg nach Wien, um mich an der Akademie um Aufnahme in die Meisterklasse Malerei zu bewerben.


Vater war damals mit Feri Zotter, einem Maler aus dem "Neuen Hagenbund" gut befreundet und arrangierte ein Treffen mit ihm, um mich zu beraten. Da ich mitten im Studienjahr zurück gekommen war und ein Beginn erst im Herbst an der Akademie möglich gewesen wäre, schlug er mir vor, doch ihm bei seiner Arbeit als Bühnenbildner und bei der Ausführung einer Serie von Sgraffiti für Gemeindebauten im Auftrag der Stadt Wien zu helfen. So wurde ich sein Assistent.


Ich durfte große Bühnenprospekte nach seinen Entwürfen auf Molino malen, bastelte "komische" Möbel für "Leonce und Lena" und war bei Proben ein staunender Zuseher. Ich beaufsichtigte die Herstellung der verschiedenfarbigen Putzschichten für Sgraffiti und kletterte ängstlich auf für mich viel zu hohen Baugerüsten herum. Damals bekam ich eine erste Ahnung von Professionalität, von den Mühen der Ebene beim Broterwerb als Maler, aber auch vom Alltag am Theater. Feri Zotter hatte sich inzwischen krankheitshalber zurückgezogen und man ließ mich weiter für die Burgenländische Landesbühne Bühnenbilder machen. Kurzum, ich bin dann doch nicht bei der Malerei, sondern bei der Architektur gelandet, hatte mich auch nicht mehr um die Aufnahme an der Akademie beworben.


Hätte mich damals jemand befragt, wie ich zu dieser Entscheidung gekommen sei - hatte ich doch von dieser Disziplin gerade so wenig Ahnung wie jeder x- beliebige Maturant - ich hätte nicht gewusst, überzeugend zu antworten. Meine Eltern erzählten gerne, dass ich meinem, Gott sei Dank nicht oft zu Besuch kommenden, mir zur Begrüßung immer schmerzhaft die Nase kneifenden Onkel Fritz, als 4-Jähriger auf die Frage, was ich denn einmal werden wolle, stolz geantwortet hätte: "Hoch - und Tiefbauingenieur".Das längste Wort, welches ich, wer weiß wo, aufgeschnappt haben musste.


Nur zu Weihnachten und Geburtstagen gab es Geschenke. Das waren anfangs meist Autos in jeder Erscheinungsform; Feuerwehr - und Rennautos, darunter auch ein prächtiger, silbergrauer Mercedes 300SL - der mit den nach oben wegklappenden Türen. Bekannt war ich in der Familie dafür, diese Autos binnen kürzester Zeit neugierig in alle Bestandteile zerlegt, und spätestens bis zum Christtag, zum Ärgernis der Schenkenden, funktionsuntauglich machen zu können. Das wurde dann von Vater milde als "technisches Interesse" interpretiert. In der Folge schenkte man mir zu jedem feierlichen Anlass garantiert unzerstörbare Matador - Holzbausteine einfachster Machart, von denen sich bald eine stattliche Anzahl angesammelt hatte. Anfangs enttäuscht von diesem neuen Spielzeug, war ich bald zunehmend begeistert, was alles mit diesen simplen Bausteinen herstellbar war.


So bin ich dann später - vielleicht doch nicht ganz zufällig - bei der Architektur gelandet, die meine große Leidenschaft werden sollte.


© 2019 ERIC STEINER: office@ericsteiner.at

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